Grosse Augen machte Arnold Hunke, Stadtarchivar der Stadt Dillenburg an der Lahn, als er am 3.Juni 2003 aus einer Aluminiumkiste ein Konvolut Noten
zog, die sich schliesslich als ein bisher unbekanntes Werk des grossen Jacques Offenbach herausstellten: L´Abeille Maya, signiert mit dem Zeitvermerk vom 13.Mai 1858. Der
Titel selbst war der Offenbachforschung längst bekannt, taucht er doch im Programm der Sommersaison 1858 der Bouffes Parisiens in Bad Ems auf.
Er steht dort in guter Gesellschaft mit bekannten Stücken wie „Die
Verlobung bei der Laterne“, „Die beiden Blinden“, „Pépito“, „Une Demoiselle en Loterie“, „La Rose de Saint-Fleur“ und einigen weniger bekannten Einaktern. Der Titel war
somit bekannt, allein das Werk zum Titel verschollen. Nun war es wieder aufgetaucht, zumindest die Musik des Einakters.
Von den 12 Musiknummern tauchen 5 in späteren Werken wieder auf: in „Martin
der Geiger“ (Le Violoneux) von 1859, in „Fortunios Lied“ (Le Chanson de Fortunio) von 1861, und schliesslich in der grossen Opera Comique „Die Banditen“ (Les Brigands) von
1865.
Eine Handlung lässt sich aus den Musiknummern grob skizzieren: Die
abenteuerliche Reise einer jungen Biene durch die gefährliche Welt der Wiese. Es treten dort musikalisch eine Libelle, ein Grashüpfer, ein Chor von Glühwürmchen, eine
Spinne, eine Eintagsfliege und die Bienenkönigin auf. Ferner einige choristische Insekten: die Mücken, die Hornissen und als Nichtinsekten ein singendes Ballett der
Regenwürmer (entzückend).
Es stelllt sich natürlich die Frage, warum sich aus dieser Saison 1858 in
Bad Ems keinerlei Zeugnis über die Aufführung der „L´Abeille Maya“ erhalten hat. Keine Zeitungsbericht, keine Abrechung, keine Erwähung in den sonst sehr präzisen Akten
der Kurverwaltung des Badeortes. Es scheint auch keine Erwähnung in privaten Briefen, Korrespondenzen usw. stattgefunden zu haben. Die einfachste Lösung hiesse: „L´Abeille
Maya „ wurde gar nicht erst aufgeführt! (Um so verständlicher die Wiederverwendung von Musiknummern in späteren
Werken durch Offenbach!)
Eine zweite, weitaus pikantere Frage lautet: Gibt es eine Verbindung
zwischen Offenbach´s „L´Abeille Maya“ und der weltberühmten „Biene Maja“ des Waldemar Bonsel von
1912?
Könnte der Autor der „Biene Maja“ Anstoss und Anregung aus der Aufführung
des Offenbach´schen Werkes erhalten haben? Bonsels lebte seit 1904 in Oberschleissheim bei München. 1908 wird
im „Münchner Brettl für Witz und Kultur“ in der Märzausgabe von einer Offenbach´schen Aufführung eines Werks namens „Himmelsvolk“ berichtet, einer offenbar recht
krachledernen Farce mit offenbachscher Musik, die allerdings – man will es kaum glauben – auf der Wiese im
Reich der Insekten spielt. Es mag sich um eine dem Fasching nahestehende Masquerade gehandelt haben – oder um eine vielleicht auch freizügigere Veranstaltung im
Kostümierungswesen – wie dem auch sei: Neben der „Biene Maja“ bringt Bonsels im Jahr 1912 „Himmelsvolk“ heraus, ein ‚Roman, der im geflügelten Bereich des Naturlebens
spielt und von Tieren, Menschen und Gott erzählt.
Dieser Roman ist so etwas wie der unbekannte Zwilling seiner weit
erfolgreicheren Bienenschwester.
Die Wege der Natur sind vielfältig, die der schöpferischen Erfindung
auch.
Für uns war dieser sensationelle Notenfund offenbachscher Musik und diese
frappierende Analogie in Bonsels Welterfolg „Biene Maja“ Anlass genug, dieses Material zu kreuzen.