Fantasio – Die Spontis kommen!
Fantasio, Münchner Bürgersohn und Student, hat Schulden, die Gläubiger sind ihm auf den Fersen. In seiner Not verkleidet er sich in den jüngst verstorbenen Hofnarren und tritt unerkannt dessen Nachfolge an. In diesem Incognito gewinnt er das Herz der Königstochter Elsbeth, verhindert sogar deren Verheiratung mit dem Prinzen von Mantua, indem er dessen Glatze entblösst und ihn öffentlich lächerlich macht. Dafür geht er ins Gefängnis. Der Prinz erklärt narzisstisch beleidigt den Krieg. Fantasio jedoch erhält als Frontfigur einer allgemeinen Protestbewegung gegen diesen Krieg den Münchner Bürgern den Frieden.
Fantasio ist eine Art Daniel Cohn-Bendit oder Fritz Teufel, ein Vorläufer der Spass-Guerilla, der Spontis, der Hippies, der Happenings. Er stellt die Generalopposition zum verengten, politischen Betrieb der Sachzwänge dar. „Fantasie an die Macht!“
Wenn Offenbach Studenten darstellt, sind das nicht literarische Kopfgeburten, die kostbare Gefühle absondern und Bilder in kleinen Montmartrewohnungen hin- und herhängen wie in Puccinis BOHEME – nein, sie wollen Spass haben, Lärm machen, randalieren, Fensterscheiben einwerfen, Bürger aus dem Schlaf reissen.
Doch hinter der Maske des lautstarken Spassmachers steckt ein handfester Melancholiker, dessen bester Freund der ferne Mond ist – Fantasio ist der frère lunaire des späteren Hoffmann aus Les Contes d’Hoffmann.
Und wohl auch das alter ego des grossen musikalischen Spassmachers Offenbachs: Hinter der Leichtigkeit steckt oft auch eine schmerzhafte Empfindung – Offenbach ist aber so geschmackvoll und dezent, uns nicht mit ungefilterten, unsublimierten Leidenswelten zu langweilen...
Textbeispiele:
Trio der Studenten
Facio
Die Nacht ist jung,
wir könnten hübsche Bürgertöchter heut’ verführen...
Hartmann
Ein bisschen Stunk!
Wir werfen Fensterscheiben ein, randalieren!
Facio
Gemach! Nur immer mit der Ruh!
Spiel’n wir die Edlen, Guten, Braven...
Sparck
Das Leben ist zum Leben da!
Wir könn’n noch auf dem Friedhof schlafen!
Nein, genug ist nie genug!
Stören wir die Friedhofsruh!
Solisten/Chor
Schauen wir nicht länger zu!
Stören wir die Friedhofsruh!
Sparck
Und machen durch bis morgen früh!
Allegretto
Sparck
1. Wenn die braven Bürger schlafen,
und die Daunenkissen, die halten sie schön warm!
Und wenn alle friedlich schnarchen,
steig’ ich ganz leise auf den Turm...
Steig’ ich heimlich leise auf den Turm
und schlag Alarm, und schlag Alarm!
Chor/Solisten
Ding dong ding dong....
(Ensemble)
Sparck
Dann ist’s aus mit eurer Ruhe!
Dann mach’ ich ein’n Höllenkrach!
Stürzt der Bürger in die Schuhe:
„Wer hat Mitternacht mich wach gemacht?“
Ja, das ist der Racheengel,
er steht auf dem Kirchendach!
Ja, der böse Glockenschwengel,
stört die Nacht, er stört die Nacht!
Chor/Solisten
Das ist der böse Racheengel,
er macht Höllenkrach, stört die Nacht!
Sparck
2. Es ist alles so beschaulich,
überall der gleiche bürgerliche Mief!
Alles tot und schal und traurig –
ich will das Leben explosiv!!
Ich will das Leben explosiv!
Hier läuft was schief!
No.2 Ballade
Fantasio
Über der Kirchturmspitze
steht schon der gold’ne Mond,
steht so wie der Punkt oben auf dem „i“.
Mit deiner Zipfelmütze
machst du dort oben Dienst,
wie lange du schon auf uns Menschen schienst!
Du wirkst heut’ schlecht gelaunt! Was ist gescheh’n?
Möchtest du deine Braut, die Sonne, seh’n?
Wo sind denn deine Elfen,
die sollen dich begleiten, helfen
dir auf deinem Weg!
Du brauchst doch Unterhaltung,
Gesang und auch Musik,
du bist zwar schon alt und sehr antik,
doch liebst du schöne Frauen!
Venus steht dir ganz nah
und die wunderschöne Leda mit dem Schwan!
Es leuchten dir die Sterne
wie funkelnde Laternen auf der Bahn,
daß du etwas siehst und nicht alleine bist!
Du kennst viele Geschichten,
die über Liebe, Tod berichten,
doch du, du schweigst dazu!
Sag mir, wo ist der Mann im Mond,
der angeblich oben bei dir wohnt?
Der böse Mann im Mond?
Er wirkt oft diabolisch,
er ist nur traurig, melancholisch!
Ja, er hat auch geliebt....
Das Menschenkind musst’ sterben,
und jeder, der verliebt,
kann hören sein wunderschönes Lied!
Wenn dein bleiches Licht ich spüre,
und weiss, wie fern du bist,
so fühl ich, was tiefe Sehnsucht ist...
Sitzt auf der Kirchturmspitze
mit deiner Zipfelmütze,
so wie der Punkt oben auf dem „i“,
wie der Punkt auf dem „i“.