La Perichole

La Perichole -  Schlecht liebt, wer stets Kohldampf schiebt!

 

 

In LA PERICHOLE ist es Offenbach gelungen, in die gekonnte, scharfe Gesellschaftssatire leisere, weiche, anrührende und bittere Töne einzuflechten. Das hat wohl seinen Grund in der Hauptfigur: La Perichole, sie ist eine arme Strassenmusikerin – eine Offenbachsche Idealfigur, die ihr Herz am rechten Fleck trägt, aber durch ihre Armut in sehr ambivalente problematische Situationen gerät.

 

Don Andrés, Vizekönig von Peru, ist als Liebhaber der Macht ein Gourmet: An seinem Geburtstagsfest – es wird von ganz Lima in fest einstudiertem Rollen und Choreografien gefeiert, wir erinnern uns an gewisse sozialistische Einheitsfeiern... – verkleidet er sich und möchte unerkannt eine Frau aus dem einfachen Volk, das er ja so liebt, verführen. Er trifft auf Strassensängerin Perichole, deren verzweifelte Lage er zu nutzen weiss und sie „überzeugt“, ihn, den Vizekönig, zu heiraten. Perichole macht sich den Entschluss nicht leicht. Sie schreibt ihrem Freund und Begleiter (Gitarre) einen Abschiedsbrief – den es vorher und meines Wissen auch später so in der Musiktheaterliteratur nicht gegeben hat – Motto: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral – sprich, die Liebe.

 

 

No. 7: La Lettre de la Perichole

 

Perichole:

Mein Liebster, adieu, lass dir sagen

Ich hab’ immer nur dich geliebt

Aber Liebe geht auch durch den Magen

Und schlecht liebt, wer stets Kohldampf schiebt.

 

Wie bisher, so geht es nicht weiter,

ach, Liebster, das wirst du verstehn

ich liebe dich, doch kann ich leider

vor Hunger und Schwäche kaum gehn!

 

Man kann zärtliche Liebe nicht fühlen

Wenn zum Leben das Nötigste fehlt

Wie kann man Liebe und Lust verspüren

Wenn der Magen knurrt, Hunger quält.

 

Du, mein Liebster, sei mir nicht böse

Denn dir knurrt der Magen wie mir

Wenn ich das Problem einfach löse

Und sage dir „Adieu! Adieu!“

 

Liebster, weißt du, dass es mir schwer fällt

Doch du wirst sehn, alles wird neu!

Und wir verdienen allein jeder mehr Geld

Und im Prinzip da bleib’ ich dir treu!

 

Ach, mein Liebster, ich würd’ gern bleiben

Ich ertrag’ die Armut nicht mehr

Auf der Welt ist kein Platz für uns beide

Adieu!, und ich liebe dich sehr.

 

(Über das Nachspiel gesprochen:)

Ich weiss nicht mehr, was ich schreiben soll

Adieu! Perichole

 

Piquillo, der Verlassene, hängt sich auf – wird aber von den Sicherheitsleuten des Königs buchstäblich kurz vor dem Erstickungstod abgeschnitten: Man braucht einen Ehemann zur augenblicklichen Hochzeit mit Perichole (sie muss für die Heirat mit dem König schon verheiratet sein – auch dieser Wahnsinn hat Methode...). Die Hochzeit wird mit einem sturztrunkenen Piquillo exekutiert – Perichole schweigt dazu, obwohl sie alles durchschaut.

Wieder nüchtern, sorgt Piquillo jedoch für einen Skandal, indem er die abschliessende Zeremonie sabotiert. Er wird in das Gefängnis für „widerspenstige Ehemänner“ gesperrt. Dort trifft er einen alten Gefangenen, den Marquis von Santarem, der mit einem kleinen Messer schon seit zehn Jahren an den Gefängnismauern schabt, um auszubrechen.

Perichole befreit listig Piquillo und den Marquis, sie werden aber wieder gefasst und dem König vorgeführt. Dort tritt Perichole dem König wieder als Strassensängerin gegenüber, erweicht wiederum sein Herz und erlangt mit ihrem Mann die Amnestie.

Um das Schicksal des Marquis abzuschliessen, brauchen Meilhac/Halevy nur ein paar Zeilen:

 

Vizekönig:

Aber zu Ihnen, Marquis von Santarem... Was haben Sie verbrochen, dass man Sie ins Gefängnis warf?

 

Gefangener:

Ich weiss es nicht, Hoheit.

 

Vizekönig:

Das ist ärgerlich. Ich könnte Sie begnadigen, wenn ich wüsste, wofür...

Aber so!? Bringt ihn zurück ins Gefängnis!

 

Gefangener:

Danke, Hoheit! Wenn ich nur ein Messer bekommen könnte.

 

Das ist die neue Bitterkeit in LA PERICHOLE. Es lebe die Ambivalenz!

 

 

Textbeispiele:

 

No. 21 B: Ariette-Valse des trois Cousines

 

Die drei Cousinen:

Luxus pur im Palast,

Wäsche nur aus Damast

Menüs, dass die Tische sich biegen

Lang im Bett, man wird schnell

Dick und fett, das Bordell

Ist Perichole zu Kopf gestiegen!

 

Le grand cru demi sec

Ist perdu, alles weg!

Denn wenn man zu frech wird, so fliegt man!

Es bestimmt, wer bezahlt

Es gewinnt die Gewalt!

Denn wie man sich bettet, so liegt man!

 

Guadalena:

Wenn ich denk’, das würd’ mir passieren

 

Berginella:

Und der König ständ’ vor mir

 

Mastrilla:

Ich würd’ mich nicht lange zieren

Nein, denn zweimal zwei ist vier!

 

Guadalena:

Wenn es mal gut und auch mal schlimm ist

 

Berginella:

Wir bedienen jeden gut

 

Mastrilla:

Wenn es nur für uns von Gewinn ist

Es jede auch mit jedem tut!

 

 

No. 21 C: Ensemble

 

Die drei Cousinen, Panatellas, Don Pedro, Chor:

Luxus pur im Palast,

Wäsche nur aus Damast

Menüs, dass die Tische sich biegen

Lang im Bett, man wird schnell

Dick und fett, das Bordell

Wär’ jedem zu Kopfe gestiegen!

 

Guadalena:

Hast du vom Luxus genossen

 

Berginella:

Und findest es phänomenal!

 

Mastrilla:

Landest du schon bald in der Gosse

Es war, es war einmal, es war einmal!

 

Alle:

Wenn die drei werd’n gefasst

Komm’n sie wieder in’n Knast

Komm’n sie wieder in’n Knast

In den Knast!

 

 

 

Couplets de l’Aveu

 

Perichole:

Du bist nicht schön, du bist nicht reich

Und leider auch nicht sehr charmant

Du bist nicht klug, du bist vielleicht

Mal schlau, doch fehlt dir der Verstand!

 

Was ist gut? Da fällt mir nicht viel ein

Du bist sowohl als auch, weder noch

Zwar können stille Wasser tief sein

Du bist nur ein Loch! Ja, und doch

 

Piquillo:

Und doch, was?

 

Perichole:

Ja, und doch, und doch lieb’ ich dich so

grade so, wie du bist

Ja, ich liebe dich

Weil es halt’ nun mal so ist!

 

Ja, ich lieb’ dich auch so

Weil du bist, wie du bist

Weil die Liebe wie das Leben

Nicht logisch ist!

 

2.Ich hätt’ so gern ein and’res Leben

ein Leben ohne Angst und Not

Tja, was hast du mir schon gegeben?

Als täglich Nichts und trocken’ Brot!

 

Im Palast, da ging’s mir 1 A!

Ich hab’ gefressen und geschlemmt

Ja, ich hätte fast schon vergessen,

was ich bin und war! Ja, und doch...

 

Piquillo:

Was, und doch?

 

Perichole:

Ja, und doch, und doch lieb’ ich dich so!

Grade so, wie du bist

Ja, ich liebe dich, wenn es auch schwer mit dir ist

Ja, ich lieb’ dich halt so, weil du bist , wie du bist

Weil die Liebe doch so schrecklich phantastisch ist!