La Princesse de Trébizonde - Artisten und Aristokraten
Wir haben hier eine italienische Kömödie im französischen Gewand vor uns, vital und witzig wie die Kleine Stadt von Heinrich Mann. Die Artisten und Komödianten treffen hier auf Aristokraten – wobei satirischerweise der grösste Komödiant der Prinz Casimir ist: Er ist launisch, ungerecht, geistreich und despotisch. Das Stück, entstanden 1869, bezeichnet die Wende in Offenbachs Entwicklung weg von der punktuellen Satire hin zur szenenübergreifenden Komik von Situationen und Geschichten, eine Entwicklung zur mozartischen Komödie. In Deutschland wird Offenbach leider auf seine Rolle als Lieferant schimissiger Satire festgenagelt, als Nachfolger der Tradition von Cosi fann’ tutte wird er leider nicht wahrgenommen. Meine Lieblingsstücke dieser Traditionslinie sind die Internatskomödie Vert-Vert und eben die „Comedia dell’arte alla francese“: Prinzessin von Trapezunt.
Worum geht es? Die Schaustellertruppe um Cabriolo stellt Wachsfiguren aus, wir befinden uns also in der Welt des Jahrmarkts und des fahrenden Volks. Doch die Geschäfte mit den Wachsfiguren laufen immer mässiger, veraltete Ästhetik. Da gewinnen sie in der benachbarten Lotterie den Hauptgewinn: Ein Schloss plus Ländereien. Man zieht dorthin, trauert aber schnell den anstrengenden, aber so schönen und lebendigen Zeiten im kleinen Kollektiv nach.
Die Liebesgeschichte: Zanetta hat beim Putzen der Figuren eine Nase abgebrochen – die Nase der Hauptattraktion, der Prinzessin von Trapezunt. In Vertretung posiert nun Zanetta, Prinzensohn Raphael verliebt sich in diese vermeintliche Puppe (seltsamer Typ!). – Das Märchenschloss aus der Lotterie liegt natürlich direkt benachbart zu dem des Prinzen Casimir. Auf einer Jagd gelingt es Raphael, seine „Puppe“ wiederzusehen. Eine solche Verbindung darf nur heimlich stattfinden, denn Prinz Casimir ist einer aus der alten Schule – der, wenn ihm irgendeine Kleinigkeit nicht gefällt, mit dem Rohrstock auf die Untergebenen eindrischt. Zu diesen Untergebenen gehört wohl auch sein so feinsinniger Sohn... Auf den verschlungenen Wegen der Komödie kommt es zum Happy End.
Das Stück lebt vom Widerspruch: einfaches, lebendiges Volk gegen manirierte, überzüchtete Aristokratie. Den Witz erhält es aus den Figuren und Situationen, weniger aus der expliziten (politischen) Satire. Eines meiner Lieblingsstücke aus Offenbachs grosser Sammlung!!!!
Textbeispiele:
No.3 Chanson
Regina
Wenn ich hoch auf dem Seile tanze,
sieht ein jeder, wie schön ich bin!
Wenn du sowas nicht leiden kannst, (wenn du das nicht ertragen kannst)
dann schliess’ die Augen, schau nicht hin!
Sie hab’n bezahlt und woll’n mich sehn
Vom Kopf bis zum Po zu den Zehen!
Ja, jedermann, ja, jedermann
Jeder sitzt da und schaut mich an!
Wenn du’s nicht kannst, nicht leiden kannst,
schau halt nicht hin! Tja, was geht’s mich an?
Ja, ich zeige mich gern und jedem,
jeder fühlt sich von mir verführt!
Ich leb’ zwar ein verrücktes Leben,
doch davon bleib’ ich unberührt!
Und lieb’n mich auch alle jeden Abend,
mein Herz ist noch frei und zu haben!
Ja, jedermann, ja jedermann,
jeder sitzt da und starrt mich an!
Wenn du’s nicht kannst, alter Schlappschwanz!
Schau halt nicht hin! Doch was geht’s mich an?
No.4 Romance des tourterelles
Raphael
Es trug eine Dame zwei Tauben spazieren im Arme,
die küssten und streichelten, herzten die reizende Dame!
Und neidisch sah ich auf die lieben Drei,
und dachte, wie schön doch die Liebe sei!
Ja! Ja!
Die Liebe ist zärtlich und frei wie die zwei Turteltauben,
wie die zwei, zärtlich und frei, wie die zwei Turteltauben!
Die Schöne, sie ging, gab die Tauben mir sanft in die Hände,
und eh’ sie begann, nahm die Liebe ein plötzliches Ende!
Verschwunden ist sie, nur Erinnerung,
und ein zarter Duft blieb von Taubendung!
Ja! Ja!
Die Liebe ist zärtlich und frei wie die zwei Turteltauben!
Ja, sie kommt und fliegt vorbei wie die zwei Turteltauben!
No.9 Couplets de la Canne
Prinz Kasimir
1. Ja, jeder schreit: Demokratie!!
Aber wie soll das gehen?
Es herrscht doch sofort Anarchie,
man kann’s überall sehen!
Der Arme wäre gerne reich,
geht dabei über Leichen,
und denkt, wir wären alle gleich!
Er kriegt was mit der Peitsche,
der kriegt was mit der Peitsche, der Peitsche, der Peitsche!
In Afrika, Amerika,
in Mexico und anderswo
da funktioniert das wie geschmiert!
Ja, denn kein Modell wirkt genauso schnell!
Das Pferd will auch mal Reiter sein,
der Angestellte Leiter sein!
Was unten ist, muss unten bleib’n,
denn das Pferd kann niemals Reiter sein!
Lässt das Pferd sich nicht führen, nicht führen, nicht führen,
muss die Peitsche es spüren, die Peitsche es spüren,
muss die Peitsche es spüren!
2. Der Knecht will heut’ Demokratie,
den Adel er beneidet!
Ja, schlecht steht’s für die Monarchie,
doch der Umsturz kommt verkleidet,
die Rev’lotion hält sich versteckt.
Will der Knecht den Herrn reizen,
verliert er schliesslich den Respekt!
Kriegt er was mit der Peitsche, kriegt er was mit der Peitsche
der Peitsche, der Peitsche, der Peitsche!
In Uruguay, in der Türkei, im Senegal und überall,
da funktioniert das wie geschmiert!
Denn kein Rezept wirkt so perfekt!
Das Pferd will plötzlich Reiter sein,
der Angestellt Leiter sein!
Was unten ist, muss unten bleib’n!
Denn der Bürger kann kein König sein!
Lässt der Bürger sich nicht führen, nicht führen, sich führen,
muss die Peitsche er spüren, die Peitsche er spüren!
Muss die Peitsche er spüren!
No.11B Ronde de la Princesse de Trebizonde
Zanetta
Der Tangokönig Bongo-Bango
herrschte einst in Sansibar.
Dort tanzt man Tag und Nacht Fandango,
weil das am Hof so Mode war!
Die Prinzessin von Trapezunt
beherrscht diese hohe Kunst!
Sie tanzte den Fandangotakt
am liebsten splitterfasernackt!
Solisten/Chor
Der Horizont der ganzen (Alten) Welt
wollt’ die Prinzessin tanzen sehn!
Die schönste Frau im Ganzen sehn!
In Trapezunt nur eines zählt:
Nur der Takt!
Der Fandango, der Fandango, der Fandango,
die Prinzessin, sie tanzt Fandango
völlig nackt!
Den Fandango, den Fandango, den Fandango,
die Prinzessin, sie tanzt Fandango!
Bumm bumm bongo bango!
Bumm bongo bango!
Den Fandango
Bumm bango bumm!
No.12B Couplets des Pages
1.Page
1. Übern Prinzen gab’s Gerüchte,
ob er’s eher mit Männern hält,
gab Erklärungen, Ausflüchte,
weil ihm keine Frau gefällt.
2.Page
Deswegen freute sich der Vater,
daß sein Sohn ist frisch verliebt.
Doch gab’s zuhaus sofort Theater,
weil die Liebe kühle blieb.
3Page
Sie fängt bei Hitze
schnell an zu schwitzen (schmilzen),
sie liebt es kühl
beim Liebesspiel.
Man schätzt, man mag sich,
doch jeder fragt sich:
Wo führt das hin?
Hat das noch Sinn?
1.-4.Page
Nein, nein, die hat’s nicht!
5.+6.Page/Chor
Weil sie aus Wachs ist!
Sechs Pagen
Mann! Das ist doch wirklich peinlich,
das ist wenig königlich!
ist Madame auch peinlich reinlich,
Kinderkriegen tut sie nicht!
3.+5.Page/Les Dessus
Mann! Da hilft kein Rubbeln, Reiben,
das ist wirklich lächerlich!
Lieber Prinz, so lass es bleiben:
Kinderkriegen tut sie nicht!
4.Page
2. In dieser Liebe ohne Hitze,
streng platonisch, eisgekühlt,
bleibt der Prinz rein, ein Novize,
keiner weiss, wie er sich fühlt...
5.Page
So eine Frau, die ist schon praktisch,
ist nicht eitel, nicht kokett!
Bleibt ihre Schönheit stets galaktisch,
ist sie doch recht ruhig im Bett...
6.Page
Der Prinz wir sterben,
wohl ohne Erben,
die Schöne weder lebt noch leibt!
Der Prinz bleibt ewig
(doch) letztlich ledig,
sein Werben ohne Antwort bleibt!
1.-4.Page
Nein, nein, die hat’s nicht!
5.+6.Page/Chor
Weil sie aus Wachs ist!
Sechs Pagen
Mann! Das ist doch wirklich peinlich,
das ist wenig königlich!
ist Madame auch peinlich reinlich,
Kinderkriegen tut sie nicht!
3.+5.Page/Les Dessus
Mann! Da hilft kein Rubbeln,Reiben,
das ist wirklich lächerlich!
Lieber Prinz, so lass es bleiben:
Kinderkriegen tut sie nicht!